EM 2024
Im Jahr 2024 war es wieder soweit: die Europameisterschaft stand an – und nach 18 Jahren kehrte ein Turnier nach Deutschland zurück.
Das zweite Sommermärchen?
Eröffnet wurde in München gegen Schottland. EM-Stimmung wollte bei mir jedoch noch nicht so wirklich aufkommen. Das Spiel verfolgte ich nicht von Anfang an, aber ich kam gerade rechtzeitig vor dem ersten Tor. Das Ergebnis war der größte Auftaktsieg der Geschichte – sowohl in allen Turnieren, als auch für Deutschland. Für die Schotten stand eine negative Torbilanz zu buche, und ein wenig taten sie mir schon Leid. Gerettet wurden sie von einem Eigentor, das zweite in einem Eröffnungsspiel in Folge.
Das zweite Spiel, Schweiz gegen Ungarn, wurde hingegen nicht im Fernsehen gezeigt. Dass die Schweiz auch immer Leidtragende ist... Dabei war das Spiel durchaus sehenswert, und die Schweiz gewann souverän und startete somit besser ins Turnier als noch vor drei Jahren.
Enttäuscht war ich von Kroatien. Ich hatte gehofft, sie könnten meine einstige Lieblingsmannschaft Spanien in die Schranken weisen. Leider war das jedoch nicht der Fall und sie lagen zur zweiten Halbzeit bereits mit drei Toren in Rückstand. Fast hätten sie einen Elfmeter erzielt, doch dieser wurde aberkannt und so blieb es schließlich bei diesem Ergebnis. Wir hatten die erste Halbzeit verpasst und aus dem Radio hatte ich das Ergebnis erfahren. Da sich ohnehin nichts mehr ändern würde, befand ich es als unnütz, den Rest des Spiels zu verfolgen. Meine Schwester ließ sich jedoch nicht lumpen.
Albanien stellte derweil einen neuen Rekord auf: Das schnellste EM-Tor der Geschichte. Da der frühere Rekordhalter ein Russe war, war ich darüber etwas traurig. Auch dieses Spiel verfolgte ich nicht, so blieb es ein EM-freier Tag für mich. Nach fünfzehn Minuten – die Italiener hatten inzwischen das Spiel gedreht – passierte ohnehin nichts mehr.
Auch am dritten Tag änderte sich das nicht. Das einzige Spiel, von dem ich immerhin ein paar Minuten gesehen hatte, war England gegen Serbien. Trotz Rückstand glänzte der serbische Torwart mit einigen Paraden und verhinderte so weitere Gegentore.
Für einen besonderen Moment hatte hingegen Dänemark gesorgt: Ausgerechnet der Spieler, der drei Jahre zuvor kollabiert war, hatte das erste Tor erzielt. Was für eine Symbolik! Trotzdem mussten sie am Ende ein Unentschieden hinnehmen.
Rumänien gegen die Ukraine begann für uns mit einer Enttäuschung: Es stand nicht der gewünschte Torwart im Kasten. Eine Enttäuschung sollte das Spiel auch für die Ukraine werden, die gegen Rumänien deutlich verloren. Die erste Überraschung des Turniers, aber nicht die einzige in dieser Gruppe!
Denn im nächsten Spiel besiegte die Slowakei völlig überraschend den Gruppenfavorit Belgien. Als ich einschaltete, hatten die Belgier scheinbar ausgeglichen – doch das Tor wurde aberkannt, ebenso wie zuvor ein weiteres. Die Belgier im Pech! Gruppe E hatte für Überraschungen gesorgt!
Österreich gegen Frankreich endete zugunsten des zweimaligen Weltmeisters – genau wie ihr erstes Gruppenspiel drei Jahre zuvor jedoch nur aufgrund eines Eigentors. Es war bereits das zweite des Turniers. Der Kapitän der Franzosen erlitt einen Nasenbeinbruch, als er vom Ellenbogen eines Gegenspielers im Gesicht getroffen wurde. Im nächsten Gruppenspiel würden sie auf ihn verzichten müssen. Ein kleiner Dämpfer!
Für das bis dato beste Spiel der EM sorgten ausgerechnet Türkei und Georgien, zweiter EM-Debütant nach Serbien. Wir drückten Georgien die Daumen. Zur Halbzeit stand es unentschieden für beide Mannschaften, wobei der Türkei ein Tor aberkannt wurde. Diese gingen mit einem zugegebenermaßen sehenswertem Tor in Führung. Der Schiedsrichter pfiff die Partie nicht ab, nachdem die Nachspielzeit bereits abgelaufen war. Für einen Eckball kam der georgische Torwart in den gegnerischen Strafraum – was sich rächen sollte. Die Türken nutzten die Situation aus und obwohl der Torwart um sein Leben rannte, konnte er das Gegentor nicht mehr abwenden. Eine absolut unsympathische Aktion der Türken, deren Zuschauer zudem die Georgier kontinuierlich ausgebuht hatten. Das Tor hätte nicht zählen dürfen und wäre nicht passiert, hätte der Schiedsrichter rechtzeitig gepfiffen.
Tschechien war gegen Portugal zunächst sensationell in Führung gegangen. Ausgerechnet ein Eigentor brachte jedoch den Ausgleich. Lange deutete alles auf ein Unentschieden hin, doch in der Nachspielzeit erzielte Portugal dann den Siegtreffer. Bitter für die Tschechen!
Am zweiten Spieltag waren Kroatien und Albanien bereits unter Druck. Nach zehn Minuten gingen letztere in Führung und Kroatien drohte das vorzeitige Ausscheiden. Siebzig Minuten lang sah es nach einer Sensation aus, doch aus dem Nichts wendete sich innerhalb von zwei Minuten das Blatt. Erst glich Kroatien aus, dann folgte ein Eigentor der Albaner. Der Eigentorschütze rettete jedoch Albanien und sorgte für den Ausgleich in letzter Minute. Was für eine wilde Schlussphase!
Zu meinem Bedauern kam es nicht zur lustigen Konstellation HUN - GER. Ungarn musste dringend punkten, doch gegen Deutschland wollte ihnen das nicht gelingen. Somit qualifizierten wir uns vorzeitig für das Achtelfinale.
Schottlands Führungstreffer wurde zunächst als Eigentor der Schweiz gewertet, später jedoch geändert. Wenig später glich die Schweiz mit einem Traumtor aus, das mir sogar eine Reaktion entlockte. Ein weiterer Treffer wurde nicht anerkannt. Mit vier Punkten standen die Chancen für die KO-Phase jedoch gut.
In Gruppe C setzten sich die Unentschieden fort. Serbien gelang im Balkan-Duell gegen Slowenien in letzter Sekunde der Ausgleich, während Dänemark ein schönes Tor erzielte. Am dritten Spieltag war noch alles möglich und außer England am ersten Spieltag hatte noch keine Mannschaft einen Sieg erzielt.
Im Spiel Spanien gegen Italien hoffte ich auf ein torloses Unentschieden. Und vieles sprach nach der ersten Halbzeit dafür, denn der italienische Torwart wehrte jeden Schuss bravourös ab – bis er ausgerechnet von einem Eigentor bezwungen wurde. So kam es ärgerlicherweise doch nicht zu einem Unentschieden und Spanien war bereits als Gruppensieger qualifiziert. Der amtierende Europameister musste hingegen zittern.
In Gruppe E trafen zunächst zwei Überraschungsteams aufeinander: die Slowakei, die Belgien mit einem frühen Tor bezwungen hatte und Ukraine, die deutlich an Rumänien gescheitert war. Beim angekündigten Torwartwechsel letzterer wurde ich hellhörig, aber es war erneut eine Enttäuschung. Slowakei ging wie bereits gegen Belgien früh in Führung und die Ukraine geriet unter Zugzwang. Das Ausscheiden war nah. In der zweiten Halbzeit kam jedoch die Wendung, als sie zuerst ausgleichen konnten. Meine Mutter fluchte, als die Ukrainer eine gute Chance verschwendeten. Ausgerechnet dieser Spieler sollte jedoch Minuten später das Siegtor erzielen. Auf den ersten Blick glaubten wir, es wäre ein weiteres Eigentor gewesen, doch die Wiederholung widerlegte dies. Der Torwartwechsel hatte sich gelohnt, und nach Abpfiff flossen schließlich Tränen.
Österreich besiegte Polen erstaunlich deutlich. Ich hatte mit einem Unentschieden gerechnet.
Dieses geschah jedoch in der nächsten Partie, worüber ich zunächst froh war. Denn was ich am wenigsten wollte, war, dass die Niederlande gegen Frankreich gewann. Selten war ich daher so froh über ein aberkanntes Tor wie dieses Mal. So war es schließlich das erste torlose Spiel des Turniers. An Chancen hatte es Frankreich jedoch nicht gemangelt.
Den nächsten Spieltag mussten wir gezwungenermaßen überspringen. So verpassten wir, wie der georgische Torwart fast einen Rekord brach. Eine Parade mehr und ihm wären die meisten in einem EM-Spiel überhaupt gelungen. Das einzige Gegentor erhielt er zufälligerweise von einem Rekordhalter: dem Torschützen des vergangenen Tor des Turniers. Statt aus der Distanz erzielte er das Tor dieses Mal jedoch innerhalb des Strafraums. Es war der Ausgleichstreffer, denn Georgien war zuvor durch einen Elfmeter in Führung gegangen. Dieser war ausgerechnet vom Eigentorschützen gegen Portugal verursacht worden, der somit erneut zum Unglücksraben geworden war. Zuvor war ein vermeintlicher Führungstreffer der Tschechen wegen eines Handspiels zurückgezogen worden.
Im Spiel Portugal gegen die Türkei kam es zum kuriosesten Eigentor des Turniers, das an jenes von Spanien gegen Kroatien bei der vergangenen EM erinnerte. Denn erneut war ein Rückpass zum Torwart fehlgeschlagen und der Ball ins Tor gerutscht. Da hatte die Kommunikation nicht funktioniert. Portugal wurde uneinholbar Gruppensieger.
Belgien und Rumänien sorgten vermutlich mit ihren Flaggen für Verwirrung. Ausgerechnet Belgien war vor der Partie noch punktlos und Gruppenletzter. Das änderte sich jedoch mit dem zweitschnellsten Tor des Turniers, und in der zweiten Halbzeit bauten sie ihre Führung aus. Das sorgte für ein Novum, denn noch nie hatten vor dem dritten Spieltag alle Mannschaften drei Punkte erzielt. Es war alles noch möglich und das Gruppenfinale sollte somit die Entscheidung bringen.
Deutschland und die Schweiz spielten um den Gruppensieg. Bereits gegen Schottland hatten wir festgestellt, das die Schweizer zumindest optisch mehr hergaben – auch wenn mein neuer Schweizer Favorit dem Turnier zu meinem Bedauern verletzungsbedingt fernbleiben musste. Mein ideales Ergebnis war ein Unentschieden. Dass das Viertelfinale der letzten EM sich wiederholte, wollte ich nämlich nicht. Der vermeintliche Führungstreffer für Deutschland wurde aufgrund eines Fouls im Strafraum aberkannt. Dann schlug die Schweiz zurück und übernahm die Führung in der Tabelle. Lange Zeit schien es, als würde sich am Ergebnis nichts mehr ändern, bis Deutschland in der Nachspielzeit den Ausgleich erzielte und so doch noch Gruppensieger wurde. Mein Wunschergebnis war somit eingetroffen.
Im Parallelspiel kam es zu einem Schreckmoment, als ein ungarischer Spieler mit dem schottischen Torwart zusammenprallte und zu Boden fiel. Er wurde abtransportiert und in ein Krankenhaus eingeliefert, wo Knochenbrüche im Gesicht diagnostiziert wurden. Dadurch gab es satte zehn Minuten Nachspielzeit, die die Ungarn nutzen konnten und in letzter Minute das Siegtor erzielten. Dieses widmeten sie natürlich ihrem verletzten Kollegen und durften als Gruppendritter aufs Achtelfinale hoffen.
In der nächsten Gruppe stand der Gruppensieger bereits fest. Kroatien und Italien kämpften jedoch um die direkte Qualifikation. Die erste Halbzeit verging torlos. In der zweiten Hälfte bekam Kroatien einen Elfmeter zugeschrieben, den der italienische Torwart sensationell hielt. Was für eine Parade! Eine halbe Minute später erhielt er dennoch ein Gegentor, womit Kroatien Italien vom zweiten Platz verdrängte. Die Italiener gaben sich jedoch nicht geschlagen und kämpften um den Ausgleich. Kroatien stand kurz vor dem Einzug ins Achtelfinale – ehe Italien ihnen in der Nachspielzeit einen Strich durch die Rechnung machte. Die Kroaten waren in Tränen aufgelöst, denn mit zwei Punkten war das Ausscheiden so gut wie besiegelt. Das hatte vor Turnierbeginn wohl keiner erwartet. Damit hatten sich auch die Niederlande, Frankreich und England vorzeitig qualifiziert.
Albanien gelang es, gegen Spanien, die mit ihrer B-Mannschaft antraten, nur einen Gegentreffer zu kassieren. Allerdings ließ mich der Name des Torschützen wüten. Es war nämlich jener Spieler, dem ich es nicht gönnte, Tore zu schießen. Alle, nur er nicht! Er ist mir nämlich ein Dorn im Auge.
Am nächsten Tag hatte ich nur einen Wunsch: Dass Frankreich die Gruppe gewann. Ich wollte sie nämlich unbedingt auf der rechten Seite des Turnierbaums sehen. Im Nachhinein wünschte ich mir, sie hätten gegen die Niederlande gewonnen. Auch gegen Polen, deren Ausscheiden ohnehin schon feststand, war es wie verhext und sie konnten den Chancenwucher nicht nutzen. In der zweiten Halbzeit schob sich Frankreich durch einen Elfmeter, den der Kapitän mit Schutzmaske verwandelte, an die Tabellenspitze. Doch auch Polen bekam wenig später einen zugesprochen und ich fieberte mit. Tatsächlich parierte der Torwart, was mir sogar einen Schrei entlockte. Die Freude währte jedoch nicht lange. Zu meiner Ärgernis musste der Elfmeter wiederholt werden – und der saß leider. Diese Entscheidung war absolut unverständlich und vermieste mir deutlich die Laune, denn zu meinem Ärgernis wurde Frankreich nicht Gruppensieger und kam damit auf unsere Seite des Turnierbaums.
Der Gruppensieg ging jedoch nicht an die Niederlande, sondern wider Erwarten an Österreich. Sie gingen früh durch ein Eigentor in Führung, doch erst in der zweiten Halbzeit sollten vier weitere Tore fallen. Fünf Minuten nach dem zweiten Ausgleich der Niederlande erzielte Österreich schließlich das entscheidende Tor – und holte sich den Gruppensieg, was mich gehörig nervte. Es wäre deutlich besser, wenn Frankreich und Österreich ihre Plätze im Turnierbaum tauschen würden. Der Niederlande gönnte ich jedoch den dritten Platz in der Gruppe.
Für die langweiligsten Spiele sorgte derweil die nächste Gruppe. Bis auf ein Spiel waren alle unentschieden ausgegangen – so auch diese. Torlose Unentschieden änderten nichts mehr an der Tabelle. Slowenien reichte das Ergebnis und so konnten schließlich sowohl sie als auch England jubeln. Dass Slowenien sich fürs Achtelfinale qualifizierte, stellte eine Überraschung dar. Dänemark wurde nur durch eine gelbe Karte weniger Gruppenzweiter und somit unser Gegner im Achtelfinale.
Spannender war da die nächste Gruppe, in der alles passieren konnte. Die Ukraine wusste, dass ein Unentschieden nur nützte, wenn es im Parallelspiel einen Sieger gab und bemühte sich. Zwischenzeitlich waren sie qualifiziert, als die Slowakei gegen Rumänien führte, doch das hielt nicht lange an. Die beiden Mannschaften schienen es bei diesem Ergebnis, das ihnen beiden half, zu belassen. Ein Eckball ging haarscharf nicht ins Tor und so war das Aus der Ukraine besiegelt. Das war besonders tragisch, da alle Mannschaften die gleiche Punktzahl hatten. Die Gegentore waren ihnen zum Verhängnis geworden. So auszuscheiden war wirklich bitter! Andere Mannschaften hatten sich mit drei Punkten und somit weniger qualifiziert. Absolut unrühmlich von Slowakei und Rumänien, sich auf dem Ergebnis auszuruhen. Zumal sich an der Rangfolge nichts mehr änderte, ich mir jedoch einen anderen Gruppenzweiten gewünscht hatte. Eine Achtelfinalpaarung machte mich somit unglücklich.
Die Gruppenphase endete wahrlich spektakulär. Auch hier kämpften noch drei Mannschaften um den Einzug ins Achtelfinale. Dabei schien die Lage klar... Georgien wollte sich jedoch nicht geschlagen geben – im Gegenteil. Nach neunzig Sekunden gingen sie gegen Gruppensieger Portugal in Führung, was nicht nur meine Schwester in Schockstarre versetzte. Damit hatte keiner gerechnet! Auf ihren Torwart war wieder Verlass. In der zweiten Halbzeit bekamen sie einen Elfmeter, den sie verwandeln konnten. Nach Abpfiff war die Sensation perfekt und die Georgier in kompletter Ekstase! Als einziges aus den Play-offs qualifiziertem Team hatten sie das Unmögliche geschafft!
Im Parallelspiel wollte ich Tschechien siegen sehen. Die gerieten jedoch bereits nach zwanzig Minuten in Unterzahl. Zu dem Zeitpunkt hätte sogar die Türkei durch Georgiens Führung ausscheiden können. Erst in der zweiten Halbzeit fiel das erste Tor zugunsten der Türkei. Zwar konnten die Tschechen durch ein umstrittenes Tor ausgleichen, doch in der Nachspielzeit holte sich die Türkei den Sieg. Das Spiel brach den Kartenrekord, sogar Auswechselspieler sahen gelb. Zwischenzeitlich musste sogar ein Torwart ausgewechselt werden – das sieht man nun wirklich nicht jeden Tag! Mir taten die Tschechen Leid, das hatten sie nicht verdient! Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie das Achtelfinale erreichen. Nun nervte mich der Ausgang in Gruppe D umso mehr, da ich Frankreich - Türkei und Österreich - Belgien statt Frankreich - Belgien und Österreich - Türkei bevorzugen würde.
Im Achtelfinale traf die Schweiz erneut auf einen amtierenden Meister – dieses Mal den Titelverteidiger. Noch nie hatten sie bei einer EM ein KO-Spiel in der regulären Zeit entschieden, doch das sollte sich ändern. Beim ersten Tor schlief die italienische Abwehr. Die zweite Halbzeit hatte kaum begonnen, da verdoppelten sie die Führung. Bei dem Ergebnis blieb es auch – und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Das deutsche Spiel wurde zur Wasserschlacht. In der vierten Minute ging Deutschland scheinbar in Führung, doch aufgrund eines Fouls zählte das Tor nicht. Zehn Minuten vor der Halbzeitpause wurde das Spiel aufgrund eines Gewitters schließlich unterbrochen. Diese dauerte fast so lange wie eine Verlängerung. Nach der Halbzeitpause folgte eine wilde Phase: Dänemark erzielte scheinbar ein Tor – doch das wurde aufgrund einer hauchdünnen Abseitsposition wieder aberkannt. Der Beinahe-Torschütze wurde nur Minuten später erneut zum Pechvogel, als er einen umstrittenen Handelfmeter verursachte. Die Entscheidung war schon etwas hart, es war keine Absicht gewesen. Zumindest gab es jedoch am zweiten Tor nichts zu beanstanden und so war es am Ende doch ein fairer Sieg. Erstmals sah ich, wie auch Trainer die gelbe Karte gezeigt bekamen – so auch unser Trainer.
Gegen England ging der Außenseiter Slowakei in Führung. In der zweiten Halbzeit kam der vermeintliche Ausgleich, doch es war abseits. Fast hätten die Slowaken mit einem Schuss von der Mittellinie – es sollte nicht der einzige des Tages bleiben – ihre Führung verdoppeln können, er verfehlte jedoch das Tor. Die Rettung kam in der letzten Minute der Nachspielzeit mit einem durchaus schönen Treffer. Und so ging es schließlich in die Verlängerung – wie meine Schwester anfangs prognostiziert hatte, ehe sie revidierte und die Slowakei schon zum Sieger erklärte. Zu voreilig! Denn die Engländer brauchten nicht einmal eine Minute, um das Ergebnis zu drehen und zogen somit doch noch ins Viertelfinale ein.
Georgien hatte mit Spanien ein schweres Los erwischt. Es geschah etwas Unglaubliches, denn erstmals seit sechzehn Jahren war meine Schwester gegen Spanien. Ich war es schon länger. Unglaublich sollte es bleiben, denn ein Eigentor sorgte dafür, dass die Außenseiter in Führung gingen. Im georgischen Block flossen Tränen. Die Freude hielt jedoch nicht lange an, denn rund zwanzig Minuten später folgte der Ausgleich. Zu Beginn der zweiten Halbzeit wanderte ein Georgier auf den Spuren von Schick und versuchte es mit einem Schuss aus der eigenen Hälfte. Der Ball flog nur knapp am Pfosten vorbei. Das wäre ein sensationelles Tor gewesen! Danach nahm das Spiel eine Wendung und drei weitere Tore sorgten schließlich für die Entscheidung. So endete das Märchen für Georgien, die jedoch bereits Historisches vollbracht hatten.
Den Achtelfinal-Knaller Frankreich gegen Belgien verfolgte ich nicht von Beginn an. Doch scheinbar hatte ich nichts verpasst, denn zu Beginn der zweiten Halbzeit war das Spiel noch immer torlos. Erst kurz vor Ende kam die Rettung für Frankreich. Es sah für mich wie ein reguläres Tor aus, die Entscheidung, es als Eigentor zu werten, verwunderte mich demnach.
Bei Portugal gegen Slowenien traf erneut ein Schwergewicht auf einen Außenseiter. Letztere kämpften jedoch mit allem, was sie hatten und ließen die Portugiesen nicht durch. Sie schlugen sich wirklich tapfer und so war nach der regulären Spielzeit noch keine Entscheidung gefallen. Gegen Ende der Hälfte der Nachspielzeit bekam Portugal einen Elfmeter zugeschrieben. Das war's, glaubte meine Schwester, die fast immer die Underdogs unterstütze. Der slowenische Torwart parierte jedoch sensationell. In der Zwischenzeit hatte der slowenische Trainer aus unbekannten Gründen die rote Karte gesehen und saß auf der Tribüne. Er konnte seinem Team also keine Anweisungen mehr geben. Ein Slowene verpasste kurz vor Schluss noch eine Torchance und so kam es unerwarteterweise zu einem Elfmeterschießen. Bei diesem Spiel hatte es wohl niemand erwartet. Hier zeigten die Slowenen jedoch Nerven und verschossen allesamt. So blieb die Sensation schließlich aus und das EM-Finale von 2016 bekam eine Neuauflage.
Das zweitletzte Achtelfinale interessierte uns nicht, und das letzte wurde nicht im Fernsehen gezeigt. Österreich hatte sich seit dem sensationellen Gruppensieg zu einem Geheimfavoriten entwickelt und konnte auf die Unterstützung des Gastgeberlandes bauen. Jedoch war es die Türkei, die nach nicht nur einer Minute in Führung ging – mit dem zweitschnellsten Tor der Turniergeschichte. Die Österreicher versuchten alles, um den Ausgleich zu erzielen. In der zweiten Halbzeit verdoppelte die Türkei jedoch die Führung. Österreich gelang nur noch der Anschlusstreffer – eine weitere Chance wurde kurz vor Schluss abgewehrt – und so endete ihr Märchen bereits im Achtelfinale. Die traurigen Österreicher konnten einem nur leidtun. Ich stand vor einem Problem, denn von den Niederlanden und der Türkei wollte ich keinen im Halbfinale sehen.
Stattdessen könnte die linke Seite des Turnierbaums die Halbfinalisten stellen. Das erste Viertelfinale galt für viele als vorgezogenes Finale und wurde mit Spannung erwartet. Spanien musste früh eine Verletzung beklagen und gezwungenermaßen den ersten Wechsel vornehmen. Es war eine ausgeglichene erste Hälfte mit Chancen auf beiden Seiten. In der zweiten Halbzeit geschah es schließlich: Spanien ging in Führung – ausgerechnet durch jenen Spieler, der früh eingewechselt worden war. Das Spiel nahm an Fahrt auf und Deutschland versuchte alles, den Ausgleich zu erzielen. Doch dann scheiterten sie erst an einem Pfostenschuss, und Minuten später flog der Ball knapp über das leere Tor. Als die Hoffnung zu schwinden begann, folgte doch noch das rettende Tor. Somit ging es in die Verlängerung und vorallem die Deutschen bemühten sich um einen Siegtreffer. Zu einem (im wahrsten Sinne des Wortes) handfesten Skandal kam es kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit der Verlängerung, als uns nach einem Handspiel ein Elfmeter verwehrt wurde. Der Schiedsrichter griff trotz Proteste nicht ein. Es war jedoch ein deutlicheres Handspiel als das dänische. Die Deutschen gaben trotz des Rückschlags nicht auf. Als alles auf ein Elfmeterschießen hindeutete –vor dem Spiel hatte ich darauf getippt – brachte ein Kopfball die Entscheidung. In der Nachspielzeit gab es noch eine Gelegenheit zum Ausgleich, doch es wollte nicht gelingen. Und so schied Deutschland durch eine umstrittene Entscheidung, die noch lange diskutiert werden würde, aus. Durch den verwehrten Elfmeter blieb ein bitterer Beigeschmack. Gleichzeitig schloss sich ein Kreis, denn der Torschütze unseres letzten Treffers hatte auch das erste Tor des Turniers geschossen.
Nervöser sah ich dem zweiten Viertelfinale entgegen – die zweite Wiederholung des EM-Finals von 2016. Ein Distanzschuss konnte vom Torwart pariert werden. Der wäre durchaus gefährlich gewesen. Zu einer kuriosen Szene kam es, als dem Schiedsrichter die gelbe Karte aus der Tasche fiel und ein Spieler sie aufhob. Es wirkte fast, als zeigte er ihm die gelbe Karte. In der zweiten Halbzeit konnte Frankreich kurz nacheinander zwei Chancen nicht nutzen. Leider traf somit der Fall ein, den ich am wenigsten wollte: ein Elfmeterschießen. Ich hatte mir jedoch völlig umsonst Sorgen gemacht. Vor dem dritten Elfmeter der Portugiesen spekulierte ich, dass er verschossen werden könnte – und ich lag richtig. Die Franzosen verwandelten ihre Elfmeter jedoch eiskalt. Selten hatte ich eine so starke Leistung im Elfmeterschießen gesehen. Trotz Erleichterung wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Denn wie bereits bei der letzten EM – wo es sich nicht bewahrheitet hatte – fürchtete ich mich vor dem Duell zwischen Spanien und Frankreich. Letztere hätten definitiv auf der anderen Seite des Turnierbaums sein müssen.
Seit der letzten EM hatte die Schweiz bei mir einige Sympathiepunkte gewonnen – auch, wenn es zwischenzeitlich nicht so schien. Dennoch wollte ich nicht, dass sie besser abschnitten als vor drei Jahren, wodurch ich mich in einem Dilemma befand. Wäre ein gewisser Abwehrspieler, der bei der letzten EM im Gruppenspiel gegen die Türkei eingewechselt worden war, dabei gewesen, wäre es sicherlich anders gewesen. In KO-Spielen war die Schweiz bisher ungeschlagen, wobei das Achtelfinale der erste Sieg gewesen war. Im Duell der Kreuzflaggen sollte das so bleiben. Allerdings fand der erste Torschuss erst in der zweiten Halbzeit statt. Später ging die Schweiz schließlich in Führung. Die Freude hielt jedoch nicht lange an, denn nur fünf Minuten später glich England aus. Auch das dritte Viertelfinale ging in die Verlängerung, die jedoch kein Ergebnis brachte. Ausgerechnet in diesem Spiel musste ein Elfmeterschießen entscheiden. Der erste Schweizer vergab direkt, während alle Engländer verwandelten und somit das Halbfinale erreichten. Anerkennend muss gesagt werden, dass sie wirklich gut geschossen waren. Es tat mir zwar Leid für die Schweiz, allzu traurig war ich jedoch nicht. Ein kleiner Trost: Als einziges DACH-Land sind sie in diesem Turnier ungeschlagen – anders als in der letzten EM, wodurch sie diesmal dennoch besser abschnitten.
Den Halbfinalplatz der Niederlande würde ich liebend gerne für Deutschland eintauschen. Sogar meine Schwester – die Deutschland üblicherweise nicht unterstützte – musste zugeben, dass wir das Halbfinale verdient hätten. Mit dem Gruppensieg hatten wir uns keinen Gefallen getan. Stattdessen befand sich nun ein Gruppendritter im Halbfinale. Und lange Zeit sah es nicht danach aus, denn ausgerechnet der Eigentorschütze gegen Portugal hatte die Türkei in Führung gebracht. In der zweiten Halbzeit glich die Niederlande aus und ging durch ein weiteres Eigentor der Türken schließlich als Sieger hervor. Es war das einzige Viertelfinale, das ohne Verlängerung entschieden wurde.
Das erste Halbfinale war für mich ein Albtraum und ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Eigentlich wäre es ein gutes Finale gewesen. Überraschend ging schließlich Frankreich durch das erste aus dem Spiel heraus erzielte Tor in Führung. Jener Spieler, der das belgische Eigentor vorbereitet hatte, belohnte sich nun selbst – nachdem ein Gegenspieler seinen Kopf in den Rasen gedrückt hatte. Mit diesem Ergebnis konnte ich gut leben – doch leider waren noch achtzig Minuten zu spielen. Und dann wendete sich das Blatt innerhalb von vier Minuten. Der Führungstreffer für Spanien wurde zunächst als Eigentor gewertet, dann jedoch revidiert – was wir nicht ganz verstehen konnten, denn wir hatten schon uneindeutigere Eigentore gesehen, unter anderem das bereits erwähnte Belgische. Ich blieb jedoch zunächst ruhig, denn es war noch eine Halbzeit zu spielen. In der konnte sich, zu meiner Enttäuschung, jedoch das Ergebnis nicht mehr ändern.
Das zweite Halbfinale hatte einen ähnlichen Verlauf. Die Mannschaft, die innerhalb der ersten zehn Minuten in Führung ging, gewann das Spiel nicht. Allerdings fiel das Siegtor in diesem Fall kurz vor der drohenden Verlängerung. Der Ausgleich war zuvor durch einen umstrittenen Elfmeter erzielt worden. Das wies durchaus Parallelen zum Halbfinale der EM 2020 auf, in dem selbige Mannschaft ebenfalls von einem zweifelhaften Elfmeter profitierte. Diese erreichte schließlich das zweite Finale in Folge – und wollte dieses Mal als Sieger vom Platz gehen.
Das Trauma von 2012
Die erste Halbzeit des Finales verlief erstaunlich unspektakulär. Am auffälligsten war noch die Geste eines Spaniers gegenüber eines Engländers. Mein persönliches Highlight war jedoch, als mein spanischer Lieblingsspieler mit der Nummer 7 im Publikum gezeigt wurde. Da entfuhr mir doch glatt ein Schrei! Noch immer trauerte ich aufgrund der Tatsache, dass ihm der zweite EM-Titel verwehrt geblieben war. Ich hätte ihn ihm definitiv dennoch anerkannt! In der zweiten Halbzeit ging es plötzlich ganz schnell und Spanien aus dem Nichts in Führung. England wollte sich jedoch nicht geschlagen geben und glich sehenswert aus. Wenn eins nicht behauptet werden konnte, dann, dass die englischen Tore nicht zu den schönsten des Turniers gehörten. Denn das taten sie definitiv. Ich glaubte schon an Verlängerung, da machten mir die Spanier einen Strich durch die Rechnung. Enttäuscht war ich schon, bedeutete das, dass der letzte verbliebene spanische Weltmeister im Kader sich nun ebenfalls seinen zweiten EM-Titel holte – jenen, den jener Spieler auf der Tribüne eigentlich verdient hätte. Vorallem wurde tags darauf auch ein Spieler geehrt, der verletzungsbedingt gar nicht im Kader war. Das hätte man dann auch vor zwölf Jahren bei ebenjener Nummer 7 ebenfalls machen können und sollen. Er hatte schließlich mit sieben Toren erheblich zur Qualifikation beigetragen. Wo wir bei der Nummer 7 waren. Ebenjener aktueller Spieler mit dieser Rückennummer war der einzige Spieler, dem ich den Sieg gönnte. Er war auch der spanische Rekordtorschütze bei Europameisterschaften.
Die Engländer hingegen konnten einem wirklich Leid tun. Zwei Mal in Folge ein Finale zu verlieren, war wirklich bitter...